Tintenschnecken: Körperbau und Eigenarten der Tintenfische

Tintenschnecken: Körperbau und Eigenarten der Tintenfische
Tintenschnecken: Körperbau und Eigenarten der Tintenfische
 
Kopffüßer, gemeinhin Tintenfische genannt, sind eine Klasse von Meeresbewohnern mit einer Reihe von erstaunlichen Eigenschaften. Die vielarmigen, blaublütigen Chamäleons der Tiefsee gehen mit einem eigenen Düsenantrieb auf die Jagd, der sie bei Gefahr auch meterweit durch die Luft katapultieren kann. Sie können sich im wahrsten Sinne des Wortes scheckig ärgern, und einige besitzen sogar »Scheinwerfer«, die im Dunkeln leuchten.
 
Anders als ihr landläufiger Name vermuten lässt, sind sie gar keine Fische, sondern — ebenso wie Schnecken — Weichtiere, und zwar obendrein die höchstentwickelten! Ihre richtige Bezeichnung lautet Tintenschnecken, und diese wird im Folgenden auch verwendet. Nicht verwechseln sollte man sie außerdem mit Polypen, die zu den Nesseltieren gehören und — im Unterschied zu den Tintenschnecken — keine inneren Organe besitzen.
 
 Der Körperbau von Weichtieren
 
Weichtiere (Mollusken) sind dadurch charakterisiert, dass sie kein inneres oder äußeres Skelett besitzen. Der Körper ist aus Kopf, Fuß und einem Eingeweidesack aufgebaut. Letzterer ist von einem Mantel umhüllt, dessen Haut bei manchen Arten (zum Beispiel Muscheln oder Schnecken) eine Kalkschale produziert. Bei den Tintenschnecken nimmt der Fuß eine besondere Gestalt an: Einesteils wird er in Form von Fangarmen (Tentakeln) ausgebildet, die rings um den Mund angeordnet sind, anderenteils zu einem beweglichen Trichter, einem röhrenförmigen Organ, das aus der Mantelhöhle unter dem Kopf herausführt. Der Eingeweidesack wölbt sich hoch über den Kopf-Fuß-Bereich auf und wird von einem muskulösen Mantel umschlossen, bei dessen Kontraktion Wasser aus dem Trichter ausströmt und eine rasche Fortbewegung durch Rückstoß bewirkt. Durch Drehung des Trichters kann die Fortbewegungsrichtung geändert werden. Langsamer voran kommen die Tintenschnecken, indem sie sich mit ihren Tentakeln am Meeresboden entlang »hangeln«. Die Tentakel sind an der Unterseite mit einer oder mehreren Reihen von Saugnäpfen, manchmal zusätzlich mit Zirren (zipfelförmigen Auswüchsen) besetzt. Einige Tintenschnecken tragen Schwimmhäute zwischen den Armen und treiben sich durch Öffnen und Schließen des so gebildeten Schirms voran. Der zwischen Eingeweidesack und Tentakeln befindliche Kopf trägt meist auffällig große, relativ hoch entwickelte, starr seitwärts blickende Augen, in einigen Fällen mit Lidern. Aufgrund der anatomischen Nachbarschaft von Kopf und Fuß nennt man die Tintenschnecken auch Kopffüßer (Cephalopoden).
 
Nicht nur die Augen, sondern auch der Blutkreislauf und das Nervensystem sind bei den meisten Cephalopoden höher entwickelt als bei anderen Weichtieren. Der Kreislauf niederer Mollusken ist offen, das heißt, Blut und Lymphe mischen sich im Gewebe außerhalb des Herzens. Kopffüßer hingegen haben ein geschlossenes oder zumindest nahezu geschlossenes Blutgefäßsystem, in dem das Blut vorwiegend durch Kapillargefäße und ohne (oder nur mit geringfügiger) Vermischung mit der Lymphe zirkuliert. Das Blut ist je nach Sauerstoffgehalt farblos bis hellblau. Die Atmung erfolgt über in der Mantelhöhle befindliche Kiemen. Die Nervenknoten (Ganglien) von Kopffüßern sind durch Nervenstränge miteinander verbunden, und die wichtigsten Ganglien sind zu einem gehirnartigen Gebilde verschmolzen. Dies befähigt sie zu erstaunlichen Leistungen: Cephalopoden sind lernfähig und können fühlen. Als Jäger des Meeresgrundes benötigen sie gute Reflexe, die dafür erforderliche schnelle Reizleitung ermöglichen ihnen spezielle Nerven, Riesenfasern.
 
 
Es gibt rund 650 Arten von Kopffüßern. Die meisten besitzen kein oder nur ein rudimentäres Gehäuse. Nur das Perlboot (Nautilus) hat eine äußere, gekammerte Schale. Bei anderen Arten, ist die Schale als kalkiger oder horniger Rückenschild ins Innere verlagert, den man bei Sepia Schulp und bei Kalmaren Gladius nennt. Bei einigen Kalmaren ist die Schale auf einen pfeilförmigen Stiel reduziert. Der Nautilus zählt zu den wenigen Arten, bei denen die Evolution schon vor Äonen zum Stillstand gekommen ist — er ist ein lebendes Fossil: 438 Millionen Jahre alte Nautilus-Gehäuse sind fast baugleich mit denen heute lebender Exemplare. Die Kammern des Gehäuses bilden beim Wachsen eine Spirale, deren spezielle Form »logarithmisch« heißt. Der Gasinhalt des Gehäuses verleiht dem Organismus einen steuerbaren Auftrieb, ähnlich wie ein Unterseeboot. Die Namenswahl für das Tauchboot in Jules Vernes Roman »20 000 Meilen unter dem Meer« dürfte darauf beruhen.
 
Die Gesamtlänge eines Kopffüßers beträgt, je nach Art und Alter, einige Zentimeter bis Meter. Die mit bis zu 30 Metern Länge größten Exemplare werden bei der Art Architheutis (Riesenkalmar) gefunden.
 
Tintenschnecken werden meist ein bis eineinhalb Jahre alt, das Alter ist auch der limitierende Faktor für ihr im Prinzip unbegrenztes individuelles Wachstum.
 
Viele Tintenschnecken haben flossenartige Hautsäume, die ihnen ein fischähnliches Aussehen verleihen, so zum Beispiel der Kurzflossenkalmar (Illex), der sich vorwiegend durch Wellung seiner seitlichen Hautlappen fortbewegt.
 
Die Anzahl der Tentakel verschiedener Arten ist unterschiedlich. Fossile Kopffüßer wie Nautilus besitzen 90 Arme, Dekapoden wie Sepia und Kalmare (Loligo und andere) haben zehn Arme, von denen zwei länger sind als die restlichen. Die Arme lassen sich in eine Tasche zurückziehen. An den Tentakeln sitzen gestielte Saugnäpfe, die bei einigen Arten mit scharfen Hornringen oder hakenförmigen Krallen versehen sind. Die Kraken (Octopoden oder Achtfüßer) haben acht gleichwertige, kräftige Arme, die mit ungestielten Saugnäpfen, bei manchen Arten zudem mit Zirren besetzt sind. Der bekannteste Vertreter ist der Octopus, dessen größte Exemplare über zehn Meter lang werden können. Auch der Octopus besitzt einen Tintenbeutel. Sein Gehirn ist das Größte aller Cephalopoden. Da Kraken außer ihrem Kiefer keine knöchernen Strukturen besitzen, können sie sich durch sehr enge Spalten zwängen.
 
 
Bemerkenswert ist die Fähigkeit der Kopffüßer, abgetrennte Körperteile nachzubilden (Regeneration). Dass einem Octopus, der einen Arm verloren hat, der Arm wieder nachwächst, war schon in der griechischen Antike beobachtet worden. Nachgewachsene Arme besitzen allerdings oft seltsame Verästelungen. Dieser Sachverhalt dürfte die Grundlage für die Sage von der Medusa und der Hydra gewesen sein.
 
Für die Tintenschnecken charakteristisch ist der Tintenbeutel, der sich an ihrem Enddarm befindet und beim Angriff eines Feindes durch den Trichter ein dunkelbraunes Sekret ausstößt. Ihre Farbe verdankt diese Sepia genannte Flüssigkeit schwarzbraunen Pigmentkörnchen, die aus Melanin bestehen. Der Feind soll durch die Tintenwolke, die oft auch seinen Geruch- und Geschmackssinn irritiert, verwirrt und abgelenkt werden.
 
Überhaupt sind Tintenschnecken sehr farbenprächtige Wesen: Ähnlich wie Chamäleons sind sie in der Lage, ihre Hautfarbe zu verändern; sie sind jedoch zu rascherem Wechsel und außerdem zu Erzeugung von wabernden Mustern fähig. Dies verdanken sie über die Oberfläche ihres Körpermantels verteilten, pigmenthaltigen Zellen (Chromatophoren), deren Sichtbarkeit von unter den Zellen sitzenden Muskeln geregelt wird. Das Farbenspiel umfasst das ganze Spektrum, und seine Funktion besteht darin, je nach Situation Aufmerksamkeit zu vermeiden (Tarnung) oder zu erregen (Signalwirkung: Drohung oder Paarungsbereitschaft). Es ist möglich, von den Farbfluktuationen auf die Stimmung des Tiers zu schließen. Doch damit nicht genug: Einige Arten leuchten sogar im Dunkeln. Diese Biolumineszenz genannte Erscheinung wird durch körpereigene Leuchtorgane auf der Haut oder durch symbiotische Leuchtbakterien hervorgerufen, die in den Hauttaschen leben.
 
 
Die meisten Kopffüßer sind Bewohner des Meeresbodens. Sie sind in der Regel nacht- und dämmerungsaktiv und halten sich tagsüber meist in Felshöhlen oder -spalten auf. Sie graben sich auch oft im Sand ein oder verschanzen sich hinter Steinen, die sie zu diesem Zweck selbst anhäufen, oder sie verbergen sich in Seegraswiesen.
 
Sie sind räuberische Fleischfresser (Carnivoren) und machen dabei nicht vor Angehörigen ihrer eigenen Art halt. Auf ihrem Speiseplan stehen Schnecken und Muscheln, aber auch Fische und Krebse. Bei der Jagd schleichen sie sich oft auf den Tentakeln am Boden entlang an ihr Opfer heran oder lauern im Wasser treibend auf Beute. Wenn sie in deren Nähe gelangt sind, nutzen sie für das letzte Wegstück ihren Trichter als »Düsenantrieb«. Das überraschte Opfer wird von der am wenigsten geschützten Seite mit den Fangarmen gepackt, dem Mund zugeführt, dort mit kräftigen, schnabelartigen Kiefern zerbissen und mit einer Raspelzunge (Radula) weiter zerkleinert.
 
Schwimmende Cephalopodenarten, zu denen viele Dekapoden zählen, leben gesellig in großen Schwärmen. Bodenbewohner wie Octopus sind — außer zur Paarungszeit — Einzelgänger.
 
Fortpflanzungsorgane und -weise unterscheiden sich je nach Art beträchtlich. Die meisten männlichen Kopffüßer bilden in einer Drüse Samenpakete, einige Millimeter lange, röhrenförmige Kapseln, die im hinteren Teil Samenzellen und vorn eine komprimierte gallertartige Masse enthalten. Diese löst bei Berührung mit weiblichem Drüsensekret eine explosionsartige Entleerung der Kapseln aus. Bei der Begattung überträgt das Männchen das Samenpaket mithilfe eines Hektokotylus genannten, zu diesem Zweck umgebildeten Armes in die Mantelhöhle des Weibchens. Bei einigen Arten löst sich der Hektokotylus bei der Begattung vom Männchen ab. Bei einer Begattung werden Tausende von Eiern befruchtet. Das Weibchen heftet danach den Laich an feste Objekte (Steine oder Pflanzen) an. Nicht alle Arten betreiben Brutpflege.
 
Zu den Feinden der Kopffüßer gehören Wale, Fische (Haie, Rochen, Hechte, Dorsche, Aale), Robben, Sturmvögel und Pinguine sowie der Mensch.
 
 
Als Calamares oder Calamari sind vor allem Kraken und Sepia bei Freunden mediterraner Kost beliebt. Der Farbstoff dient zur Herstellung von Tinte oder von Tuschen für Feder- und Pinselzeichnungen und wurde schon von Leonardo da Vinci geschätzt. Ihr Gehäuse wird teils zu Schmuck verarbeitet, teils landet der Schulp als »Sepiaknochen« im Vogelkäfig, wo er zum Wetzen des Schnabels und zur Calciumversorgung dient. Aus Tintenschnecken werden auch Naturheilmittel hergestellt, die zur Behandlung von Depressionen und Menstruationsbeschwerden dienen.
 
Systematics and biogeography of cephalopods,
 
 
Die Tierwelt der Nord- und Ostsee, begründet von Georg Grimpe und Erich Wagler, fortgeführt von Adolf Remane, Bd. 37: Cephalopoden Leipzig 1958.
 Klaus-Jürgen Götting:Malakozoologie. Grundriß der Weichtierkunde. Stuttgart 1974.
 Richard D. Purchon: The biology of the mollusca. Oxford 21977, Nachdruck Oxford 1978.
 John E. Morton: Molluscs. London 51979.
 P. R. Boyle: Cephalopod life cycles. Band 2 London 1987.
 
Grzimeks Tierleben, Bd. 3: Weichtiere, Stachelhäuter Taschenbuchausgabe, Neudruck München 1993.
 
Lehrbuch der speziellen Zoologie, begründet von Alfred Kaestner, Bd. 1: Wirbellose Tiere, herausgegeben von Hans-Eckhard Gruner, Teil 3. Jena 51993.
 Roger T. Hanlon und John B. Messenger: Cephalopod behaviour. Cambridge 1996.

Universal-Lexikon. 2012.

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